Ein Projekt des bbw e.V

Wie können sie als Eltern Ihr Kind am besten bei der Berufsorientierung unterstützen?

Bernd Sieghörtner (C)Agentur für Arbeit Nürnberg

Ihr Kind weiß nicht, was es später mal für einen Beruf ausüben möchte? Und sie wissen nicht genau, wie sie Ihr Kind bei dieser Entscheidung unterstützen können? Keine Panik: In dieser Situation sind sie nicht alleine. Fast allen Eltern geht es genauso wie Ihnen.

Wir haben dazu mit Herrn Sieghörtner, stellvertretender Bereichsleiter im Fachbereich Jugendliche bei der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Bayern gesprochen. Er hat uns erklärt, wie Eltern ihre Kinder bestmöglich bei der Berufswahl unterstützen und wo sie dabei Hilfe erhalten können.

Was sind für Sie die Gründe, warum Jugendliche oft unsicher bei ihrer Berufswahl sind?

Da gibt es ganz verschiedene Gründe. Zum einen ist es oftmals so, dass Jugendliche bei dem Thema Berufswahl schlichtweg überfordert sind. Es gibt derzeit 350 verschiedene Ausbildungsberufe in Deutschland. Es ist also für die Jugendlichen allein aufgrund der Vielzahl an Möglichkeiten schwierig, den Überblick zu behalten. Zudem wissen sie auch oftmals nicht, welche Anforderungen sie für die einzelnen Berufe erfüllen müssen.

Hinzu kommt natürlich auch noch das Alter der Jugendlichen. In der Regel sind sie 14 Jahre alt: Mitten in der Pubertät und mit vielen Unsicherheiten konfrontiert sollen sie eine Entscheidung für einen Beruf treffen. Bisher haben sie sich lediglich mit dem Thema Schule beschäftigt und kaum konkret mit dem Thema Berufswunsch. Und vor allem auch nicht mit den Fragen: Was kann ich wirklich und welcher Beruf passt eigentlich zu mir? Ebenso können Jugendliche noch schwer abschätzen, inwiefern sich die Berufswahl auf ihr Leben auswirkt. Sie sollen jetzt eine Entscheidung treffen, die für die nächsten zehn Jahre ihr Leben bestimmt - das ist natürlich sehr schwierig.

Auf der anderen Seite sehen wir aber auch, dass sich die Top-10 der Ausbildungsberufe, die die Jugendlichen letztendlich ergreifen, sich seit den letzten zehn Jahren kaum verändert hat. Es gibt mal Wechsel in der Rangfolge, aber ansonsten sind es die gleichen zehn Berufe.

„Mein Kind steht kurz vor dem Abschluss und weiß noch überhaupt nicht, was es machen soll.“ Viele Eltern finden sich in dieser Situation wieder, die ihnen häufig Kopfzerbrechen bereitet. Was raten Sie diesen Eltern?

Die Eltern sollten erstmal nicht panisch werden. Sie sollten sich gemeinsam mit ihrem Kind hinsetzen und versuchen, einen „Fahrplan“ zu erstellen: Wo liegen die Stärken, wo die Schwächen und was macht das Kind gerne. In diesem Schritt sollte auch überlegt werden, ob das Kind schon einmal ein Praktikum gemacht hat und überlegen, was ihm dabei gefallen hat und was weniger. In der Regel absolvieren alle Jugendlichen in ihrer schulischen Laufbahn ein Pflichtpraktikum.

Eine weitere Möglichkeit ist, sich Hilfe von außen zu holen: Da kommen die Berufsberater der Agentur für Arbeit ins Spiel. Denn die sind schließlich Experten auf diesem Gebiet. Im Vorfeld können dazu auch die Online-Angebote der Agentur für Arbeit genutzt und beispielsweise ein Berufswahltest durchgeführt werden. Zusammen mit dem Testergebnis und den letzten Zeugnissen können sie dann zu einem Berufsberater gehen. Dieser unterstützt ihr Kind dabei herauszufinden, wo die Reise einmal hingehen soll.

Es gibt eine Vielzahl an Angeboten: Messen, Berufsberater, Tag der offenen Tür bei Firmen oder auch Online-Angebote. Welche Angebote zur Berufsorientierung halten Sie für Jugendliche sinnvoll und welche vielleicht weniger?

Berufsorientierungsangebote an sich sind erstmal wichtig. Denn Jugendliche und ihre Eltern müssen sich irgendwie einen Überblick über die Ausbildungsangebote schaffen. Mittlerweile gibt es sehr viele Orientierungsangebote. Bei der Auswahl ist es wichtig, ein Angebot zu finden, das möglichst neutral ist und die Jugendlichen nicht in eine bestimmte Richtung lenkt. Dazu sollte man sich immer die Frage stellen: Was sind Angebote, die auf mich als Person eingehen und nicht eine bestimmte Berufswahl vorschreiben?

Beispielsweise bieten wir in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium Berufsorientierungsmaßnahmen für Schulen an. Hierbei können die Schülerinnen und Schüler ganz unterschiedliche Berufsfelder kennenlernen, erschließen und auswählen. Anschließend können sie in den favorisierten Berufsfeldern ein Praktikum absolvieren, um sich selbst die Entscheidung zu erleichtern. Und so feststellen, ob der Beruf ihnen nur in der Theorie gefällt oder auch in der Praxis überzeugt.

Das Thema Berufsorientierung wird immer wichtiger und auch von den Schulen sehr ernst genommen. Sie versuchen die Jugendlichen so früh wie möglich damit in Kontakt zu bringen und sie zu erreichen, damit eine intensive Auseinandersetzung mit den Themen Berufswahl und -entscheidung ermöglicht wird. Denn wir haben alle nichts davon, wenn Jugendliche einen Beruf ergreifen und nach 1,5 Jahren in der Ausbildung merken, dass er nicht zu ihnen passt und sich noch einmal umentscheiden. Das ist natürlich nicht schlimm, aber die Zeit ist dadurch verloren. Und da ist natürlich unser gemeinsames Ziel, dass möglichst viele Jugendliche rechtzeitig die richtige Entscheidung für sich treffen.

Liegt der Fokus bei den Orientierungsangeboten vor allem auf Ausbildungsberufen oder werden Studiengänge gleichrangig behandelt?

Das kommt auf die Schulart an. In Mittel- und Realschulen geht es vor allem um die dualen Ausbildungsberufe. Von unserer Seite beraten wir die Schülerinnen und Schüler neutral, unabhängig von ihrer Schulart. Wir stellen die tatsächliche Situation dar und schauen, wo die Stärken und Schwächen der Jugendlichen liegen. So kristallisieren sich dann letztendlich die möglichen Berufe heraus.

Bei Gymnasien ist die Situation eine andere. Denn hier lag lange der Fokus darauf, die Jugendlichen auf ein Studium vorzubereiten. Mittlerweile gibt es aber auch schon Ausbildungen, bei denen ein höherer Abschluss vorausgesetzt wird. Mit unserer Berufsberatung gehen wir daher in den Gymnasien bereits in die 9. Klassen. Denn es gibt natürlich auch Schülerinnen und Schüler, die nach der 10. Klasse mit einem mittleren Schulabschluss vom Gymnasium abgehen. Daher ist für sie das Thema duale Ausbildung wichtig. Für die Oberstufe werden beide Themen beleuchtet, also duale Ausbildung und Studium. So können die Jugendlichen anschließend selbst entscheiden, welcher Weg für sie der Richtige ist.

Welche Bedeutung hat ihrer Meinung nach heutzutage ein Schülerpraktikum?

Also für mich hat das Schülerpraktikum eine existentielle Bedeutung. Denn nur in der Praxis können die Jugendlichen erfahren, was sich hinter den einzelnen Berufen verbirgt. Für den Ausbildungsbetrieb auf der anderen Seite ist ein Praktikum aber auch sehr wichtig, um sich vorzustellen und zu überzeugen. Denn in Bayern haben wir derzeit einen Bewerbermarkt – die Jugendlichen können sich aus einem großen Angebot aussuchen, welche Ausbildung sie machen wollen und an welchem Ort. Über ein Schülerpraktikum kommen viele Jugendliche in die Ausbildung. Sie kennen den Betrieb bereits, es hat ihnen gut gefallen und der Beruf ist für sie der Richtige.

An Mittelschulen spielt die Berufsorientierung eine wesentlich größere Rolle als an Gymnasien. Gymnasiasten haben auf den ersten Blick mehr Möglichkeiten, alleine durch die Hochschulreife mit der sie auch ein Studium antreten können.

Ist es richtig, dass diese beim Thema Berufsorientierung weniger begleitet werden und warum ist das so? Und sind Eltern von Kindern, die das Gymnasium besuchen, demnach besonders gefordert das auszugleichen?

Schülerinnen und Schüler, die ein Gymnasium besuchen, werden nicht weniger begleitet. Denn wir gehen mit unseren Beratern bereits in der 9. Klasse und auch nochmal in der Oberstufe in die Schulen, um das Thema Ausbildung oder Studium zu beleuchten. Für Eltern ist der Entscheidungsprozess mit einem Kind, das ein Gymnasium besucht, durchaus schwieriger. Denn auf der einen Seite stehen 350 Ausbildungsberufe und auf der anderen Seite die Unmengen an möglichen Studiengängen. Und wenn das Kind noch keine thematische Richtung eingeschlagen hat, wird es erstmal sehr schwierig mit der Entscheidung. Von den Schulen und der Bundesagentur für Arbeit wird daher bereits viel investiert. Das Thema Berufsorientierung an Gymnasien gewinnt immer mehr an Bedeutung. Dies wird auch im Kultusministerium so gesehen.

Welche Rollen sollten Eltern bei der Berufsorientierung der Kinder spielen? Eher eine aktive oder lieber eine passive?

Eltern sollten ganz klar eine aktive Rolle bei der Berufsorientierung ihrer Kinder einnehmen. Denn neben den Freunden sind die Eltern der wichtigste Faktor in Sachen Berufsfindung und der wichtigste Bezugspunkt. Das zeigen auch alle Studien, die es zu dem Thema gibt. Dennoch ist es wichtig, den Kindern nicht die eigene Meinung aufzudrücken. Viel wichtiger ist es, die Jugendlichen im Prozess zu begleiten, zu unterstützen und dabei zu helfen, dass sie für sich die richtige Entscheidung treffen können. Das ist natürlich schwierig, da man in sein Kind hineinhorchen muss. Man muss schauen, wann und mit welchen Dingen man das eigene Kind erreicht. Eine aktive Rolle der Eltern ist auf jeden Fall wichtig, denn Kinder sind alleine mit dem Thema oftmals überfordert. Es gibt nur sehr wenige, die von Anfang an wissen was sie werden wollen.

Welche Gründe gibt es aus ihrer Sicht, warum Eltern ihre Kinder nicht immer bei der Berufswahl unterstützen können?

Es gibt viele Gründe. Die Eltern sind zum Beispiel beruflich überlastet – sie können momentan keine Zeit erübrigen, haben eigene Probleme. Ein anderer Grund liegt darin, dass sich Eltern in unserem System der Berufsausbildungen erst mal auskennen müssen, da tun sich vor allem auch viele zugewanderte Eltern schwer. Aber allgemein ist es schwierig, den Überblick zu behalten. Denn wenn ich als Elternteil einen Beruf gewählt habe, den ich seit 25 Jahren ausübe, kenne ich mich eben hauptsächlich in meinem Beruf aus. Ich weiß vielleicht noch was links und rechts von meinem Beruf passiert, aber was in den anderen 250 Berufen passiert, da habe ich zu wenig Wissen, um mein Kind beraten zu können.

Dazu kommt noch, dass die Kinder in der Pubertät sind und der Zugang und die Kommunikation mitunter sowieso erschwert sind. Viele Eltern denken sich dann, dass es das Klügste ist, wenn die Kinder sich erst mal selbstständig mit ihrem Berufswunsch auseinandersetzen. Aber es ist ganz schwierig, da pauschal zu sagen: das ist der Grund. Ich denke, alle Eltern wollen ihre Kinder bei der Entscheidung für einen Beruf unterstützen. Die überwiegende Zahl der Eltern kümmert sich auch sehr intensiv und gibt ihr Bestes.

„Mein Kind will einen Beruf ergreifen, der meiner Meinung nach gar nicht zu ihm passt.“ Was raten Sie Eltern in dieser Situation?

Zu allererst muss ich mich fragen: Ist es wirklich so, dass der Beruf nicht zu meinem Kind passt oder ist es vielleicht so, dass mir der Beruf nicht passt? Letztendlich würde ich den Eltern empfehlen: Informieren sie sich über den Beruf, den Ihr Kind sich ausgesucht hat. Gibt es Argumente, die wirklich dagegensprechen? Gibt es gute Gründe, bleibt nichts anderes übrig als sich mit dem Kind zusammenzusetzen und darüber zu sprechen.

Wenn die Eltern da nicht weiterkommen, gibt es auch noch die Möglichkeit, sich externe Hilfe zu holen. Zusammen zum Berufsberater gehen z.B. und dessen Meinung zur Berufswahlentscheidung einholen. Danach kann das Kind auch noch einen Berufswahltest machen, der von einem Psychologen durchgeführt wird. Damit kann man sicherstellen, dass die individuellen Stärken und Schwächen bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Letztendlich muss der Jugendliche aber selbst entscheiden, was das Richtige ist. Natürlich gibt es dann auch die Fälle, in denen sich die Jugendlichen nach zwei Jahren umentscheiden, zwei Berufsausbildungen angefangen haben oder letztendlich doch in einem Beruf tätig sind, der nichts mit der Ausbildung zu tun hat. Das ist nicht die optimale Lösung, aber es ist noch lange kein Weltuntergang.

Eine weitere Schwierigkeit ist es, wenn sich die Jugendlichen einen Beruf aussuchen, den es in der Region nicht gibt. Da kann man auch im ersten Schritt nach verwandten Berufen suchen: also was sind ähnliche Tätigkeiten und wie kann der Wunschberuf letztendlich realisiert werden.

Welche Methoden gibt es, damit Eltern noch mehr über die Stärken und Schwächen ihrer Kinder erfahren?

Um das Kind dabei zu unterstützen, gibt es zum Beispiel auf Planet-Beruf verschiedene Tests. Es kann hilfreich sein, die Tests gemeinsam zu machen und sich abzusprechen: Wie sehen sie als Eltern die Stärken und Schwächen Ihres Kindes, wie ist die Einschätzung des Jugendlichen selbst? Die Möglichkeit, zum Berufsberater zu gehen, besteht natürlich immer. Relativ schnell kristallisieren sich durch die Tests und die Berufsberatung die Stärken und Schwächen heraus. Danach hilft ein Praktikum bei der endgültigen Entscheidung, dadurch nähert man sich dem Ganzen sehr schnell.

Wie können Eltern damit umgehen, wenn Kinder vielleicht zu anspruchsvolle Berufswünsche haben oder diese mit hohem finanziellem Aufwand für die Familie verbunden sind, den sie sich gar nicht leisten können?

Finanzielle Unterstützung gibt es beispielsweise, wenn das Kind eine duale Ausbildung aufnimmt und dafür umziehen muss. Da kann man dann Berufsausbildungsbeihilfe beantragen. Für die Finanzierung einer schulischen Ausbildung oder Studium, die selbst nicht stemmbar sind, gibt es die Möglichkeit, Bafög zu beantragen. Das allerdings ist vom Einkommen der Eltern abhängig. Es gibt auch verschiedene Stipendien, die man beantragen kann, oder Möglichkeiten im Rahmen der Begabtenförderung. Über diese Angebote hinaus wird es schwierig. Für die Finanzierungsmöglichkeiten gibt es aber auch Beratungsangebote, die Eltern gerne nutzen können.

Bei dem Thema „Anspruchsvoller Berufswunsch“ stellt sich immer die Frage: Was ist denn zu anspruchsvoll? Ist es nur das Finanzielle oder meine ich, dass mein Kind damit überfordert wäre? Im nächsten Schritt ergibt sich dann die Frage, was mögliche Berufsalternativen wären, die in das Feld hineinpassen.

Wo finden Eltern weitere Hilfe und Unterstützung, wenn sie mit ihrem Wissen an ihre Grenzen kommen?

Wir haben zum einen das Thema Berufsberatung. Unsere Berufsberater bieten ebenfalls an, dass die Eltern auch alleine vorbeikommen. Das Kind muss dem allerdings zustimmen, was sie in der Regel auch tun und dann können wir unterstützen. Es gibt auch gemeinsame Informationsangebote wie Elternabende in der Schule oder Elternabende beim Berufsberater oder die Möglichkeit der Teilnahme an Beratungsgesprächen. Es ist sehr häufig der Fall, dass Jugendliche mit ihren Eltern zu uns zum Beratungsgespräch kommen. Zusätzlich gibt es bei Online-Angeboten, zum Beispiel unter Planet-Beruf, auch eigene Elternrubriken, auf denen man sich informieren kann. „sprungbrett bayern“ ist zum Beispiel vor allem beim Thema Praktikum der richtige Ansprechpartner, da es auch eine der größten Schülerpraktikumsbörsen ist. Also wäre die ideale Vorgehensweise, im ersten Schritt durch die Angebote der Agentur für Arbeit die ersten Entscheidungen zum Beruf zu treffen, dann durch Angebote wie sprungbrett bayern erste Praxiserfahrungen zu sammeln und die Berufswahl zu treffen.

Vielen Dank Herr Sieghörtner für das Interview!

Sie möchten mehr über das Thema Motivation bei der Berufswahl erfahren? Dann sollten sie unser Interview mit Prof. Dresel, Lehrstuhlinhaber für Psychologie an der Universität Augsburg, lesen.